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I.                  Der Umzug nach Shanghai – ein „kritisches Lebensereignis“

Artikelreihe von Frieder Demmer für das Cluborgan des Deutschen Club Shanghai. (Link führt zur pdf-Version) 

Im ersten Hinsehen wirkt der Titel „Der Umzug nach Shanghai – ein „kritisches Lebensereignis““ein wenig abschreckend: Kritisches Lebensereignis! Das klingt gefährlich und unangenehm. Was verbirgt sich wirklich dahinter?

 Seit Ende der sechziger Jahre gibt es einen wachsenden Zweig der Psychologie, der sich mit dem Phänomen beschäftigt, dass Ereignisse die unser Leben grundlegend verändern fast immer außerordentlich belastend sind – egal wie „reif“ oder „psychisch gesund“ wir selber sind und fast egal wie positiv oder negativ das Ereignis ist. Dafür wurde der Begriff „kritische Lebensereignisse“ eingeführt.

 Ein gutes Beispiel für die neue Denkrichtung des Ansatzes der kritischen Lebensereignisses ist die Hochzeit: obwohl sie in der Regel ein erwünschtes und freudiges Ereignis ist, wird kaum jemand behaupten können, dass die Hochzeit als solche spurlos an ihm/ihr vorüber gegangen sei. Hochzeit ist immer auch Stress.

 Wichtigste daran anschließende Erkenntnis der Life-Event-Forscher (und in Deutschland mit Frau Professor Filipp führend einer Forscherin) war, dass kritische Lebensereignisse auf Grund der auftretenden Belastung eine deutliche Erhöhung gesundheitlicher Risiken, im psychischen wie im physischen Sinne mit sich bringen: Überlegen Sie einfach mal wie viele Menschen Sie kennen, die kurz vor oder kurz nach ihrer Hochzeit mehr oder minder schwere Erkrankungen mitgemacht haben – sollten einige sein.

 Ich habe jahrelang als Diplom-Pädagoge im Rahmen der beruflichen Rehabilitation gearbeitet, bei einem privaten Institut, dass Menschen im Auftrag der öffentlichen Hand und von Versicherungen unterstützt hat, nach schwerer Erkrankung oder Unfällen neue Lebensentwürfe aufzubauen und umzusetzen. Auch dabei ging es um die Verarbeitung (massivst) kritischer Lebensereignisse und es zeigte sich, dass das auslösende Ereignis in der Regel stets gefolgt wird von einer Kette mehr oder minder gravierender Folgeprobleme in unterschiedlichsten Lebensbereichen, die Theorie bestätigte sich nachhaltig.

 (Fast) alle, die dieses lesen, haben schon oder werden am eigenen Leib erfahren, dass der Umzug nach Shanghai wirklich grundlegend in aber auch alle Lebensbereiche eingreift. Damit ist er ein „kritisches Lebensereignis“ par excellence – und im Vorgriff sei schon gesagt, die Rückkehr nach Deutschland knüpft daran nahtlos an.

 Müssen Sie sich jetzt Sorgen machen? Nein, denn wir sind diesem Ereignis nicht wehrlos ausgeliefert. In verschiedenen Studien hat sich ein  „idealtypischer“ Verlauf der Eingewöhnung in ein „kritisch“ verändertes Umfeld gezeigt, der einem hilft bewusst und vorbereitet damit umzugehen. Wer das tut, erkennt schneller und nachhaltiger die unglaubliche Bereicherung, die ein Auslandsaufenthalt bietet.

 

Der Start - endlich da!!!

 Der Start in die neue Heimat ist meistens recht motivierend: Direkt nach der Ankunft entwickelt sich relativ schnell ein kurzes „Endlich-da“-Hoch!

 

Reality Bites!

 Das wird aber fast noch schneller von den eher schwierigen Realitäten des ersten Alltags ein- und überholt: Reality bites... – die Wirklichkeit beißt zu und je nach Glück oder Unglück ziemlich heftig: Wohnung, Essen, Verkehr, Handwerker – mehr muss da eigentlich gar nicht gesagt werden. Gerne wird hier auch der Ausdruck „Kultur-Schock“ verwendet (dazu später mehr)

 

Here I go again... .

 Unter dem Druck dieser ersten mehr oder minder deutlichen Krise (Wut, Frust) werden große Anstrengungen unternommen, die Situation zu verbessern: Man beginnt die Sprache zu lernen, sucht sich einen chinesischen Ansprechpartner, bevorzugte Geschäfte, Ruhepunkte etc. – in der Regel mit dem Erfolg einer zweiten Hochphase: „Es geht ja!“. Genau in diesem Sinne wird die „Krise“ im Chinesischen übrigens sehr passend als „gefährliche Gelegenheit“ bezeichnet, als zugegeben erst einmal unangenehme, bedrohliche Situation, die einen aber dann „zu neuen Höhen“ führen kann.

 

Die Krise aus dem Rucksack

 Aber wieder ist die Freude vorübergehend: In der Literatur leider nur zum Teil ausdrücklich behandelt, schließt sich an dieses Eingewöhnungshoch leider manchmal eine weitere, klar wahrnehmbare Krise an. Vor dem Hintergrund der durch die Hochstimmung wieder gestärkten Abwehrkräfte tauchen (irgendwo so um den sechsten Aufenthaltsmonat herum) gerne alte, heimische, überwunden geglaubte Probleme wieder auf, die unsere Psyche offensichtlich unter dem Druck der äußeren Ereignisse einfach nur „hinten angestellt hatte“: „Ooh – da war ja noch... .“ Ich nenne das die „Rucksackkrise“ - die hat man schon von zu Hause mit gebracht.

 

Grundsätzlich bleibt diesbezüglich schon hier festzuhalten, dass sich fast kein zu Hause bestehendes Problem durch einen Auslandsumzug löst, vielmehr eher neue hinzu kommen (Ausnahmen bestätigen die Regel)! Manche Probleme verschwinden zeitweilig, aber sie werden eben nicht gelöst.Im Modell (Abb. 2) elegant und einfach als zwei große Ab- und wieder Aufschwünge dargestellt, spielt sich die Eingewöhnung im persönlichen Empfinden meist eher als mehr oder minder ausgeprägte Folge teils sehr kurzzeitiger Schwankungen ab (Abb. 1), bei denen die Ursachen nicht immer eindeutig erkennbar sind, da wir zuweilen mit Verzögerung reagieren:

Einen Tag geht es Ihnen ganz gut, am nächsten Tag  – wenn der Partner mal wieder (n)irgendwo ist, die Sicherung schmorend durchbrennt und man vergessen hat Trinkwasser zu bestellen oder auf der Seite des arbeitenden Parts, wenn mal wieder nichts von dem gemacht wurde, was am Vortag besprochen wurde, der Zulieferer zum dritten Mal den Termin nicht eingehalten hat und im Headquarter Freitags um 17:00 niemand mehr zu erreichen ist - überfällt einen wieder dieses: „Was mach ich hier eigentlich?“ – Gefühl. Und „was mach ich hier eigentlich“ ist tatsächlich eine der Kern-Fragen des ganzen Prozesses. „When you’re in Rome, do as the Romains do“ – verbringen Sie viel Zeit damit zu verstehen, was Chinesen wann und warum machen: Die haben meistens ihre Gründe ;-).

 

Speziell wir Deutschen mit unserem stark auf Ausgeglichenheit und Ruhe zielenden Persönlichkeitsideal tun uns mit der angedeuteten Wechselhaftigkeit der Eingewöhnung teils sehr schwer. Ich selbst muss zugeben, zwischenzeitlich sehr irritiert gewesen zu sein, wie tief mich der Wechsel der Heimat mit dem zunächst völligem Ausstieg aus dem Beruf hinein in die vor dem Einstieg in die Selbständigkeit reine Hausmannstätigkeit berührte – wenn man selbst  arbeitet, kann man sich schwer vorstellen, wie verloren man sich ohne Arbeit in Shanghai fühlen kann!

 

Alles im Lot - oder doch nicht?

 Es geht ja bekanntlich alles vorüber: Irgendwann kehrt dann endlich so etwas wie Ruhe und Routine ein – und schon offenbart sich gemeiner Weise eine letzte Tücke:

 Die sich an die bis jetzt geschilderte, sehr wechselhaften Phasen anschließende Abflachung der Ereignisse, das Einkehren von Routine und Normalität, ist zwar eigentlich normal und erwünscht, erscheint vor dem Hintergrund des Erlebten aber zunächst als wirklich erschreckend „flach“ und „langweilig“. „Passiert ja gar nichts mehr“. Man spricht wegen dieses, die tatsächliche Problematik überhöhenden Gegensatzeffektes auch von „posttraumatischen Krisen“:

 Man fühlt sich gelangweilt, gereizt, unterfordert – obwohl eigentlich alles in Ordnung ist.

 Diese Ernüchterung gilt es noch zu bewältigen und dann ist man da, endlich wirklich da. Je nach Naturell und äußeren Bedingungen ist das irgendwann 8-12 Monate nach der Ankunft. Und das ist schon eine sehr alte Erkenntnis, dass, um an einem Ort heimisch zu werden, man in der Regel einmal den Lauf der Jahreszeiten erlebt haben muss – und noch ein weiteres Mal um richtig Wurzeln zu schlagen... .

 Wenn Sie den Eindruck haben, in einer der beschriebenen Phasen hängen zu bleiben, wenn einer der beschriebenen Zustände in unangenehmer Art und Weise unverändert bestehen bleibt, dann empfehle ich auch einmal externe Beratung hinzu zu ziehen – von Anfang an sollten Sie in jedem fall aktiv Kontakt suchen: Auslandscommunities sind in aller Regel kontaktfreudig  und hilfsbereit, wenn auch selten sehr tiefe Freundschaften entstehen.

 Soviel zur Einführung.

 

II. Kognition/Attribution/Reframing

Lernen, sich und seine Umwelt angemessen wahr zu nehmen

 Im ersten Abschnitt ging es um eine allgemeine Beschreibung der Eingewöhnung in eine vollkommen veränderte Umwelt. Die entscheidende Erkenntnis in der Beobachtung dieser Prozesse war, dass wir dabei mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit Krisen oder zumindest krisenähnliche Zustände erleben und dementsprechend bei deren Auftauchen zunächst Ruhe bewahren sollten – da muss man/frau durch – und im Ergebnis kommt man zu einem erweiterten Wahrnehmen, hat wirklich etwas für sein Leben dazu gewonnen.

 Hier soll nun etwas genauer beschrieben werden, was insbesondere das erste Tief im idealtypischen Eingewöhnungs-Modell ausmacht. Durch was muss ich da eigentlich durch?

 Der aus Berlin in die USA emigrierte Kurt Lewin hat mit ganzheitlicheren, sozialpsychologischen Überlegungen und Experimenten („Gestaltpsychologie“) dereinst das Fundament für die psychologischen Hauptströmungen der 60er-80er Jahre gelegt, die sogenannten „kognitivistischen Ansätze“. 

 

Jeder sieht seine eigene Welt

 Kognitivistische Ansätze suchen die Lösung für die Besonderheiten menschlichen Erlebens in der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns, bzw. gesamten Nervensystems. Es wird davon ausgegangen, dass wir mittels unseres Gehirns in der Lage sind, sinnliche Reize (alles was wir sehen, schmecken, fühlen, riechen) je nach Vorerfahrungen in außerordentlich individueller Art und Weise mit unterschiedlichen „Bedeutungen“ zu verknüpfen. Eine solche Verknüpfung wird als „Attribution“, teilweise auch „Attribuierung“, bezeichnet.

 Mit dieser Idee der Attribution als sehr dynamischer Mischung aus körperlicher Reizaufnahme und erfahrungsabhängiger Interpretation gelang der so lange fehlende Brückenschlag von den platten Mechaniken der naturwissenschaftlich denkenden „Behaviouristen“ (Verhaltenswissenschaftlern) zu den zwar häufig faszinierend lebensnahen, aber zuweilen nicht schlüssig zu Ende gedachten Triebmodellen der Tiefenpsychologen (in der Nachfolge Freuds). 

 

Um schneller zu werden folgt unsere Wahrnehmung Mustern

 Wie sieht der Brückenschlag der „Attribution“ nun aus? Ganz im Sinne naturwissenschaftlicher Reiz-Reaktions-Schemata empfinden wir z.B. gestreichelt werden meistens als angenehm, als Zuwendung von Wärme – aber eben doch nicht immer und schon gar nicht von jedem! Streicheln kann völlig andere Bedeutungen bekommen: Störung, Respektlosigkeit, Besitzanspruch, Zudringlichkeit oder gar Bedrohung. Ganz abhängig davon, wer sich uns wie und wann nähert, entscheiden wir (meistens unbewusst) sofort, warum er/sie das tut und danach richtet sich auch unser damit verbundenes Gefühl. Rein mechanisch betrachtet nur ein Ereignis – aber unterschiedlichste Interpretationen.

 

Was hat das mit unserem Thema „Ankommen“ zu tun?

 Wir alle verbinden im Verlauf unseres Lebens unvorstellbare Informationsmengen zu sehr komplexen Attributionsmustern. Auf Grund solcher Muster macht es für uns einen so deutlichen Unterschied, ob ein großer junger Mann mit Glatze entweder Sandalen, eine braune Kutte und einen Rosenkranz trägt oder Springerstiefel, Fliegerjacke und einen Baseballschläger.

Attributionsmuster helfen uns, sehr viele Informationen in sehr kurzer Zeit ohne großes Überlegen einordnen zu können. Alles Gewohnte/Bekannte wird über diese Muster ohne merklichen Aufwand verarbeitet und so entsteht Freiraum, um das Besondere auch besonders wahr zu nehmen und besonders reagieren zu können. Eine entscheidende Basis der besonderen Anpassungsfähigkeit des Menschen.

 

Was passiert, wenn es plötzlich mehr Neues als Gewohntes gibt?

 Dann ist genau der Punkt erreicht, wo es „kritisch“ wird. Dann sind wir im Thema. Denn Attributionsmuster sind stark verinnerlicht, wie verinnerlicht, wird Ihnen sehr eindrucksvoll am ersten Tag in einer Umgebung mit Linksverkehr (z.B. Hongkong) vor Augen geführt. Plötzlich müssen Sie sich richtig konzentrieren, um sicher auch nur über die kleinste Straße zu kommen, weil entgegen Ihrer attribuierten Erwartung: „Vorsicht Straße, das erste Auto kommt von links.“, es tatsächlich von rechts kommt. Jede Straße, jeder Autofahrer wird plötzlich gefährlich. Shanghai hat zwar keinen Linksverkehr – aber seien wir ehrlich: der hier praktizierte Rechtsverkehr macht die Sache nicht entscheidend einfacher. Eine Alltäglichkeit wird so zur Belastung und eine Vielzahl genau vergleichbarer Anstrengungen rund um Alltagskram (Klopapier nicht in die Toilette werfen, sonst flutet es, aber ich kann das doch nicht wirklich in diesen Mülleimer tun...) rauben Ihnen unmittelbar nach der Ankunft in einem fremden Land beträchtliche Mengen an Energie.

 

Willkommen in Andersland

 Beim Wechsel in einen anderen Kulturraum werden gewohnte Attributionsmuster gleichzeitig in sehr vielen Bereichen durcheinander gewirbelt: Sitten und Gebräuche, Essen, Kleidung, Wohnen, Fortbewegung – ALLES kommt in Bewegung.

So mögen Sie, frisch aus Deutschland kommend, in Shanghai einen Radfahrer auf sich zu kommen sehen und gelassen denken: „Soll er bremsen!“, um postwendend: „Astloch!“ rufend, in irgend eine rettende Lücke zu hechten. Oder: Im Supermarkt will Sie ein freundlicher Herr ohne Vorzeigen des Kassen-Bon einfach nicht raus oder schlimmer noch, der Guard im Compound ohne Namecard nicht mehr reinlassen: „Wichtigtuer!“. Kleinigkeiten, die sich aber summieren. Ihr Weltbild mag die Vorstellung beinhaltet haben, dass man fremden Menschen ebenso wenig laut räuspernd vor die Füße, wie unerwünschte Essenreste einfach auf den Tisch spuckt – IHR PROBLEM! Noch offensichtlicher wird das Ausmaß des Einschnittes in das Verständnis Ihrer Umwelt bei den Themen Sprache und Schrift. Mit dem Umzug nach China gehen den meisten „Westlern“ mit einem Schlag zwei der wichtigsten Informationswege fast komplett verloren: Sie können weder lesen, noch sich unkompliziert mit Menschen auf der Straße verständigen. Und das schränkt die Möglichkeiten zur reibungslosen Anpassung und Orientierung in einer 16-Millionen-Stadt wirklich sehr nachhaltig ein. Dinge die sie früher im Vorbeigehen erledigt haben dauern plötzlich einen ganzen Tag.

 Kurz: Die Summe des Kleinkrams ist das vielleicht meistunterschätzte Problem in der Eingewöhnung. Das ganz alltägliche Leben wird zeitweise tatsächlich um ein vielfaches, wirklich um ein VIELFACHES anstrengender (dadurch im Positiven aber auch aufregender ;-). Das trifft berufstätige wie mitreisende Partner übrigens in anderer Art und Weise, aber mit sehr vergleichbarer Härte. Kaum jemand will das vorher wahr haben, weil man ist ja so dynamisch und erfolgreich – aber meistens ist es dann doch genau so!

 Die erste Eingewöhnungskrise (der Ausdruck „Kulturschock“ scheint mir als Begriff eher passend, wenn man als Backpacker wirklich in medias res geworfen wird, Shanghai ist dagegen „China mit Airbag“) wird dadurch ausgelöst, dass wir uns in fortlaufenden Bemühungen aufreiben, eine völlig veränderte Welt in ein über Jahrzehnte ge(ver)festigtes Weltbild einzuordnen.

 Bösartigst überspitzt wähnen wir uns in den ersten Wochen umgeben von Unmengen wahnsinniger Autofahrer, taktloser Rüpel, blicken in Restaurants in denen spuckende Schlinghälse Hühnerfüße essen und auf der Arbeit können wir gar nicht so schnell schauen wie wechselseitig Gesichter verloren werden – wie gesagt: bösartigst überspitzt.

 Erschwerend kann hinzukommen, dass bei der Ankunft unser gewohnter Hausstand, noch irgendwo in Containern auf den sieben Weltmeeren irrfährt. Diesbezüglich sollten Sie im Handgepäck wenn möglich ein zwei echte „Heimatanker“ mitnehmen: ein besonderes kleines Bild, ein besonderes Buch, ein Kuscheltier, ein spezielles Kleidungsstück, Dinge, über die sie schon beim Anblick freuen, die ihnen im wahrsten Sinne der Wortes ein gutes Gefühl geben.

 

Auch anders sein, kann Sinn machen

 Man sieht es kann mal holpern, aber das legt sich: Nach einer gewissen Eingewöhnung sollten wir in der Lage sein, in den meisten der genannten Zeitgenossen und Situationen das zu erkennen, was sie in aller Regel sind: Alltag, ganz normale Mitmenschen, die grundsätzlich freundlich und weder mit der Absicht uns zu beleidigen noch zu erschrecken ihr Leben nach den hiesigen Regeln leben.

 Irgendwann werden Sie z.B. die Chance haben, die Tücken chinesischer Felgenbremsen selber zu erfahren, akzeptieren den leidlichen Diebstahlschutz im Supermarkt und freuen sich, wenn nicht jeder jederzeit in den Compound marschieren kann. Man muss nicht alle Regeln übernehmen, alles irgendwann toll finden, aber man sollte immer davon ausgehen, nicht von völligen Idioten umgeben zu sein. Wie fremd auch immer uns etwas erscheint, es könnte ja auch einfach Sinn machen.  Wir müssen nur lernen unsere Lebenswelt neu und angemessen zu bewerten!

 Im Umfeld systemischer Ansätze wird die in diesem Stadium notwendige Neuorientierung sehr passend als „Reframing“ bezeichnet „Neurahmung“: Man muss die eigenen Wahrnehmungen in einen neuen, passenderen Zusammenhang bringen, in einen neuen Rahmen einpassen. Der Spucker gehört nicht in unser Bild „Rüpel und andere unverschämte Patrone“ sondern in das chinesische Bild „alltägliche Körperpflege“ – so schwer das vorstellbar ist (ich persönlich gebe mich da keinen Illusionen hin: Ich werde „chuuuuaarg - pfk“  nie wirklich angenehm finden, ABER: Ich empfinde es zumindest nicht mehr als persönlichen Angriff - und es ist zudem ja stark im Abnehmen begriffen).

 

Herausforderungen für Kinder und Jugendliche

 Der Ansatz des „Reframing“ macht auch deutlich, warum ein Auslandsumzug gerade für Jugendliche so kritisch sein kann: In einer Phase in der man eigentlich den Rahmen der einem bekannten Gesellschaft auslotet, sich seine Sichtweisen sucht, ausprobiert, wo in diesem Rahmen man eigentlich selber steht, wird genau dieser Rahmen entfernt. Wenn „wir Erwachsene“ schon Probleme mit unserem Selbstverständnis bekommen – wie soll es da erst dem/der Jugendlichen gehen? Gleichzeitig, da Jugendliche eh auf der Suche sind, kann es aber sein, dass Jugendliche sich an viele Umstände sehr schnell gewöhnen und enorme Lernkurven zeigen, weit über den uns’rigen – KANN... . Nehmen Sie sich im Ausland unbedingt ausreichend Zeit für Ihre Kinder – diese Zeit wird gebraucht!!

 Kleiner Exkurs: Mit Klein- und Kleinstkindern können Sie in Shanghai über teilweise sehr kinderfreundliche Wohnanlagen und Hausangestellte ein Maß an Lebenskomfort erreichen, dass weit über den Möglichkeiten in Deutschland liegt. Ein Brennpunkt bleibt jedoch die gesundheitliche Versorgung. Beim Deutschen Club finden Sie immer Ansprechpartner, die bestens über die diesbezüglichen, aktuellen Angebote für junge Familien informiert sind. Hier werden auch Krabbelgruppen etc. organisiert.

 

Meet the people!

 Der Exkurs führt zum nächsten Punkt: Wichtigste Hilfe beim Start sind wie schon erwähnt Menschen vor Ort, wenn möglich erfahrene, mit denen man einfach reden kann. Weiterhin hilfreich, um nicht zu sagen notwendig, ist viel eigener Mut, so oft wie es nur irgendwie geht (und erträglich ist!) den Elfenbeinturm zu verlassen und sich ins Alltags-Gewühl zu stürzen. Jeder Tag „Urban Jungle“ bringt Ihnen wertvolle neue Erfahrungen. Der wechselseitige Austausch in allen Arten von Interessen-Gemeinschaften wie Expat-Clubs, Sportclubs, Spielrunden oder Gemeinde kann weitere wertvolle Unterstützung bieten. Die Eindrücke vieler Augen und Ohren helfen Ihnen, wesentlich schneller angemessenere Bilder zur Erfassung Ihrer neuen Umgebung zu entwickeln: neue Attributionsmuster. Je fremder ihnen Shanghai scheint, desto intensiver sollten Sie sich umschauen. Je weiter Sie sich zurück ziehen, desto „gefangener“ werden Sie sich vorkommen – gefangen im goldenen Käfig. Das sollte Sie erst gar nicht zulassen. Der allgemeine Dreischritt heißt: Wahrnehmen, verstehen, handeln. Erst schauen, dann versuchen, das Gesehene wirklich zu verstehen und dann erst handeln. In der Anfangsphase bringt das mit sich, dass man viel mehr fragt, als sagt – eine Verhaltenseigenschaft, die auch bei erfolgreichen Managern nachgewiesen werden kann: Sie fragen so lange, bis sie ein so klares Bild haben, dass sie eigene Standpunkte ernstzunehmend kompetent und wirklich mit Überzeugung und Autorität vertreten können.

 Eines muss dabei klar sein: Reisen verändert. Sie werden in China definitiv nicht einfach leben können wie zuvor und manches wird bis zum Schluss befremdlich bleiben. Lassen Sie sich aber immer die Möglichkeit offen, dass die meisten dieser Dinge nicht Angriffe auf Ihre Person sind, sondern wenn Sie hier – eben in diesem Rahmen – leben, aus irgend einem Grund einfach normal und sinnvoll. Wenn Sie irgendetwas letztlich wirklich gar nicht verstehen, nicht einordnen, nicht mehr mit anschauen können, dann reagieren Sie schlicht aus Ihrem ganz persönlichen Bauch heraus. Manchmal muss das einfach sein. Das erleichtert und kommt meistens am überzeugendsten. Ein Shanghai“veteran“ sagte bezüglich eines persönlichen Ausbruchs sehr passend: „Da habe ich wohl wieder tausend Gesichter verloren – aber als Europäer hatte ich eh von vorne herein keines... ;-).“

 In diesem Sinne viel Mut, Spaß und viele interessante Entdeckungen.

 

 

III. Bedürfnisse -  Süchte und Gefahren für die Partnerschaft

 Als ich begann,  diesen dritten Teil zu schreiben, war ich kurz an einen Punkt, an dem ich dachte: „Noch immer Probleme – dabei geht es vielen doch wirklich gut in Shanghai!“ Aber dann dachte ich auch wieder: „Jetzt nicht kneifen, es fehlen noch wichtige, wenn nicht die wichtigsten Punkte und über Probleme zu sprechen oder zu schreiben bedeutet ja noch lange nicht, dass sie jeder haben muss! J“

 In diesem Sinne versuche noch in diesen und im nächsten Teil solche Punkte zusammen zu fassen, durch die Ihr Wohlbefinden in Shanghai nachhaltig in Frage gestellt werden kann.

 Mit dem Themenbereich: „Bedürfnisse und Motivation“ begeben wir uns nach der „theoretischen Einkreisung“ in den Kern des Themas „Umzug nach Shanghai als kritisches Lebensereignis“ und werden dabei mit Sucht und partnerschaftlichen Problemen auch zu den vielleicht gravierendsten Problematiken kommen, bevor es dann in einer Art „positiven Wendung“ stärker um die „Motivation“ geht, um Ziele und Selbstorganisation.

 Kritische Lebensereignisse tragen ein nicht zu unterschätzendes Suchtrisiko in sich. Süchte entstehen häufig im Zusammenhang mit unbefriedigten Bedürfnissen. Eine besondere Rolle spielt dabei das Wechselspiel der Bedürfnisse nach Sicherheit und Veränderung.

                   In Shanghai kann gerade in der Anfangszeit für die „begleitende Seite“ eine Situation entstehen, in der die eigene Wohnung zwar als einzig halbwegs sicherer, vertrauter Raum erscheint, der ständige Aufenthalt in der Wohnung (mit Ayi, Fahrer und Gärtner und ohne Partner) aber gleichzeitig absolut nervtötend ist. Für den berufstätigen Partner kann dagegen die Kluft zwischen Gestaltungswünschen und realen Gestaltungsmöglichkeiten im neuen Tätigkeitsfeld zur nervenaufreibenden Falle werden.

 Vier Süchte sind hier die klassischen „Lösungen“: Alkohol (die absolute Nr. 1), Einkaufen, Essen und vielleicht überraschend, aber in vielen Fällen leider auch in dieser Reihe ein zu ordnen: „Freundinnen“. Alle werde ich kurz unter dem „Sicherheits-Veränderungs“-Aspekt anschneiden, was kühl-distanziert erscheinen mag und das Thema – das sei nachdrücklich betont - beileibe nicht erschöpft. Aber die Kernproblematiken der angesprochenen Süchte werden so am deutlichsten.

 

Alkohol

 Alkohol (da gehört Sekt übrigens auch dazu...;-)) bringt Sicherheit, indem er sehr zuverlässig in den Rausch führt – und (selbst) der (leichte) Rausch wiederum eine scheinbare Veränderung der Umwelt bringt. Man denkt, es täte sich was - oder vergisst zumindest, dass sich nichts tut. Weil das Erlebnismuster der Droge Alkohol so gut passt und Alkohol ja auch in China reichlich und leicht zu bekommen ist, sind die Betroffenen dringlichst auf passende, d.h. deutliche und kritische Rückmeldungen von Freunden und Familie angewiesen: „Du, pass auf, das wird allmählich zu viel.“

Erst durch solche, echte Konfrontationen durch Personen die einem wichtig sind, wird in der Regel die Tür zum Entschluss geöffnet, alleine oder mit professioneller Beratung der Gefahr der Sucht entgegen zu treten. Es sei hier nur erwähnt, dass Shanghai einen florierenden Markt mit annähernd allen gängigen Rauschdrogen bietet. Das heißt, diesbezügliche Gefährdungen sind höchst wachsam zu verfolgen, auch wegen der höchst schwierigen Rechtslage! Diesbezüglich steht der Autor – wie natürlich auch bei allen anderen Anlässen - streng vertraulich behandelte Rückfragen jederzeit zur Verfügung – mittlerweile sind aber glücklicher Weise verschiedene weitere deutschsprachige BeraterInnen ständig vor Ort.

 

 „Hit the Mall Honey“

 Einkaufen ist als Sucht in der Regel weniger fatal als Alkohol oder andere Drogen, zumal unter den in Shanghai bestehenden Einkommensbedingungen – aber es ist, als würde jemand ständig vor sich hin murmeln: „Und siehst Du, es lohnt sich doch hier zu sein.“, ein frühes und dabei noch relativ harmloses Signal, dass jemand letztlich unglücklich ist. 

Beratungsbedarf im engeren Sinne entsteht hier erst, wenn tatsächlich soziale Kontakte beeinträchtigt werden (es gibt keine anderen Gespächsthemen mehr), wenn rein alltagsorganisatorische Probleme auftauchen (wohin mit dem Zeug) oder irgendwann der bestehende finanzielle Rahmen doch durchbrochen wird. Davor ist aber vielleicht schon mal Gelegenheit für sich selbst inne zu halten und zu fragen: „Was fehlt mir eigentlich wirklich?“ – meistens sinnvolle Aktivitäten. Hier hat sich das Angebot in Shanghai in den letzten Jahren vervielfacht: Vom Sport, über Kultur bis zu karitativen Projekten oder aber auch Stammtischen etc.. Der „goldene Käfig“ Shanghai öffnet seine Türen immer weiter ;-).

 

Essstörungen

 Unmittelbar und ausgesprochen ernst zu nehmen sind Ernährungs- und Essstörungen. Hier, das sei betont, besteht, wenn Ihnen bei Bekannten, Freunden und insbesondere bei Kindern Ernährungsunregelmäßigkeiten bis hin zur Essenverweigerung oder auch „Fresssucht“ auffallen, umgehender Handlungsbedarf!

Essstörungen sind hochgefährlich – gehören tatsächlich zu den absolut problematischsten Suchterscheinungen - und die Behandlung kann ein sehr langwieriger und zäher Prozess sein, bzw. ist es leider in aller Regel! Scheinbare Teilerfolge sind häufig weit weg von einer wirklichen Problemlösung. Nochmals: hier besteht wirklich Handlungsbedarf! Suchen Sie unbedingt Kontakt zu professioneller Unterstützung.

 

Shanghai Baby...

 Kommen wir zum heikelsten Thema – insbesondere, wenn ich als Mann es hier aufnehme. Andererseits wäre es ignorant, über Auslandsprobleme zu sprechen und ausgerechnet darüber nicht.

 Zunächst einmal stellt der Schritt ins Ausland für sich genommen schon eine Prüfung für jede Partnerschaft dar – ich habe bisher kein Paar getroffen, das nicht berichtete, dass irgendwann während des Auslandaufenthaltes ungewohnt hohe, wenn nicht grenzwertige Spannungen aufkamen. Meine Frau und ich bildeten hier keine Ausnahme. Gleichzeitig kann die Partnerschaft darüber entscheidend bereichert, erweitert und gefestigt werden. Auch dieses können wir nachhaltig bestätigen.

 Die wohl unerfreulichste und am zunächst ganz sicher nicht „festigende“ Spannungssituation ist jedoch,  wenn dritte Personen in Spiel kommen – in der Regel Freundinnen, aber die Möglichkeit von Hausfreunden sei hier ausdrücklich nicht ausgeschlossen! Dazu vorweg:  „Untreue“ im rein körperlichen Sinne habe ich als Beziehungsthema in meiner Arbeit in Deutschland von beiden Seiten und in allen nur denkbaren Arten von Beziehungen erlebt. Es gibt keinen Patentschutz, aber  - und das ist wichtig - es ist auch nicht (tatsächlich eher selten) das automatische Ende einer Partnerschaft.

 Das Thema steht hier unter Süchten. Warum? Unter den hier schwerpunktmäßig betrachteten Rahmenbedingungen von Sucht, geht es gerade bei Männern um eine direkte Verknüpfung der beiden Hauptaspekte:

Wenn ich mit Sicherheit Veränderung herbei führen kann, dann nennt sich das schlicht: MACHT. Und das ist etwas, was im Umfeld von Führungspersonen in aller Regel eine große Rolle spielt: „Ich kriege, was ich will!“ Filme wie „Citizen Kane“ oder „Once Upon a Time In America“ verdichten diese Problematik – auch und gerade im Hinblick auf Beziehung - perfekt.

 Die „Freundin“/Der „Freund“ ist in diesem Machtspiel in der Regel vollkommen austauschbar, bietet in aller Regel keinerlei ernstzunehmende Alternative zur bestehenden Partnerschaft. Er/Sie ist eben die Veränderung, eine aufregende Ergänzung und u.a. deswegen so attraktiv, weil sie/er sich eben nicht mit all dem lästigen, uninteressanten Alltagskram (Beruf oder Familie) beschäftigen muss, den derweil freundlicher Weise der/die Betrogene abwickelt. Als betroffener Partner sollte man sich hier unbedingt nicht zu sehr in die Defensive drängen lassen. Eifersucht hilft nichts(!!!) – aber wahren Sie ausdrücklich Ihre Interessen – das tut der andere ja ganz offensichtlich auch.

 Menschen sind fehlbar und in diesem Sinne ist der einmalige Seitensprung (nicht nur in China) auch eine menschliche Verfehlung. In der Regel führt er dementsprechend zu heftigen, allerdings meistens letztlich nur zeitlich begrenzten Konflikten. Wenn dagegen eine andauernde Krise erwächst (z.B. auch durch, und dann passt der Begriff auch besser, andauernde Untreue), ist die Untreue in der Regel nur Aufhänger, ein Teil, ein Phänomen, nicht aber die eigentliche Ursache. Hier gibt es dann annähernd so viele Varianten der Umgangsweise, wie es Fälle gibt, stark abhängig von familiärer Situation und individuellen Prioritäten.

 Bei Männern haben sehr, wirklich sehr viele Probleme rund um Körperlichkeit und Sexualität ihren Auslöser in „Machtfragen“ im weitesten Sinne. D.h. u.a., dass der Auslöser sehr häufig, eigentlich meistens, NICHT primär die Partnerschaft und schon gar nicht die Partnerin ist!!

Bei Frauen ist eine Verknüpfung mit tatsächlicher Unzufriedenheit in der Partnerschaft dagegen häufiger – wenn auch in wesentlich differenzierterer Form, als es männliche Klischees gerne sehen. Das Thema partnerschaftliche „Befriedigung“ spielt sich definitiv nicht vorrangig im Bett ab – chinesische Frauen schicken ihre Männer daher wenn es „nur darum“ geht teilweise aus freien Stücken „aus dem Haus“.

 Eines ist aber klar: Derartige Konflikte sind immer mit einem nicht zu unterschätzenden Maß an Leid verbunden – gerade unter der Vorgabe „gemeinsam“ nach China gegangen zu sein. Viel härter kann man kaum getroffen werden.

 Partnerschaftliche Probleme sind daher vermutlich der „Krisenfaktor“, bei dem externe Beratung am meisten helfen kann. Die Außenperspektive der beratenden Person (die kein Profi sein muss!) kann hier den Abstand und die Ruhe schaffen, die in der direkten Auseinandersetzung häufig nicht mehr angemessen zu erreichen sind. Auf dieser Basis kann nach den eigentlich kritischen Punkten gesucht und können davon ausgehend wiederum angemessene Entscheidungen getroffen werden. Und darum geht es bei Problemen in der Partnerschaft letztlich immer: Entscheidungen treffen.

  

IV. Motivation - Ich will..., wenn ich nur wüsste was?

 In diesem Abschnitt geht es um die Themen Motivation, Erfolg, Zufriedenheit. Was kann ich tun, um (u.a. in Shanghai) zufrieden zu sein, mir Erfolge zu verschaffen.

 Ganz abstrakt betrachtet ist Erfolg zu haben recht einfach: Ich suche mir ein angemessenes Ziel, ich plane dessen Umsetzung, ich verfolge den Plan mit ggf. notwendigen Korrekturen, ich erreiche das Ziel, was ich wiederum als Erfolg empfinde.

Ähnlich einfach sieht es theoretisch mit der Zufriedenheit aus: Ich achte einfach darauf, dass meine Bedürfnisse sich in meinem Leben angemessen wiederfinden, angemessen befriedigt werden. Um das zu erreichen bediene ich mich wieder der Grundschritte des Erfolges. Ganz einfach also. Wenn da nicht zwei ganz schwierige Fragen versteckt wären:

 

Was ist ein „angemessenes Ziel“?

Was sind „meine Bedürfnisse“?

 Beginnen wir mit letzterem Problem, der Frage nach den Bedürfnissen. Bezüglich der Bedürfnisse bedienen wir uns der Überlegung eines Vertreters der sogenannten Humanistischen Psychologie:

Die „Humanisten“ sind eine ab den 60er-Jahren in Erscheinung tretende, eher lose verbundene Gruppe von herausragenden EinzeldenkerInnen, die sich von den naturwissenschaftlich geprägten Denkweisen früherer Richtungen abwandten und – vereinfachend gesagt - statt der vermeintlich ewigen und übergreifenden „Natur des Menschen“, eher den „Menschen in der Natur“ suchten. Das Menschliche oder „Lebendige“ sei so komplex, dass jeder vorrangig Gemeinsamkeiten, allgemeine Regeln suchende Ansatz in die Irre gehen müsse. Es gäbe zwar gemeinsame Züge unter den Menschen, diese seien jedoch im Einzelfall so speziell abgewandelt, dass ihre Kenntnis mehr abstrakten als praktischen Wert habe. Daher schaue man lieber gleich intensiv auf den Einzelnen. Dieser Ansatz hat vor allen Dingen nachhaltigen Einfluss auf moderne therapeutische Ansätze. Ein berühmter Vertreter ist z.B. Carl Rogers mit seiner „Familienkonferenz“.

 Für unser Thema interessanter sind die ebenfalls hohe Popularität erlangenden Arbeiten von Abraham Maslow: dessen „Bedürfnishierarchie“ sowie die dazu gehörige Motivationstheorie.

 Grob ist Maslows Ansatz so dar zu stellen: Motivation, der „Wille etwas zu bewegen“ ist die Folge eines psychischen oder physischen Ungleichgewichts, dass man ausgleichen will.

Grundformen sind die „Mangelmotivation“ und die „Wachstumsmotivation“. Eine „Mangelmotivation“ liegt vor, wenn ein grundlegendes Bedürfnis nicht befriedigt ist: Der oder die Betroffene wird dementsprechend versuchen, durch Befriedigung dieses Bedürfnisses den Mangel auszugleichen. Alles was dafür geeignet erscheint wird attraktiv, wird zum Motivator.

„Wachstumsmotivation“ liegt dagegen vor, wenn ein Mensch sich aus einer für sich genommen sicheren Ausgangslage in eine Spannungssituation begibt, um sich ein neues Lebens- und Erlebensfeld zu erschließen.

Wo entstehen jedoch Mängel – und welche neuen Erfahrungsfelder gibt es? Um seiner Theorie eine klarere Struktur zu geben postulierte Maslow eine „Pyramide“ von acht Bedürfnisstufen. Den Grundtenor kann man recht treffend mit Brechts: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ wiedergeben. Zuerst müssen diverse biologische Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen befriedigt sein. Dann versuchen viele Menschen ein gewisses Maß an existenzieller Sicherheit zu erreichen, womit dann auch die sozialen Bedürfnisse eng verbunden sind. Die Fähigkeit, die unteren Bedürfnisstufen angemessen abzusichern bestimmt in hohem Maße das Selbstvertrauen und auch den Selbstwert. Auf dieser Sicherheit aufbauend strebt der Mensch dann nach „Höherem“, Bildung, Selbstverwirklichung, Philosophie etc.. Eine Mangel in einer unteren Stufe blockiert eine Weiterentwicklung nach oben.

 Mit dieser festen Rangfolge ganz bestimmter Bedürfnisformen verließ Maslow letztlich im engeren Sinne humanistische Denkweisen, versuchte schon wieder eine allgemeine Natur des Menschen zu bestimmen. Dementsprechend wurde Maslows Bedürfnispyramide zu Recht immer wieder kritisiert. Der Grundansatz, dass es Motivationen mit unterschiedlicher Wertigkeit gibt und Mängel an einer Stelle Weiterentwicklungen in anderen Bereichen blockieren können, ist jedoch weithin akzeptiert.

 

Das heikle Wechselspiel unterschiedlicher Bedürfnisse

 

Sie hilft Probleme zu veranschaulichen und gibt zumindest erste Anregungen, durch welche Art von Aktivitäten man sich evtl. „stabilisieren“, bzw. „verbessern“ könnte.

 

Ein Beispiel:

 

Für die wohl meisten erfolgt der Umzug nach Shanghai eindeutig aus einer Wachstumsmotivation heraus: Karriere, Erfahrungserweiterung.

 „Wachstumsmotivationen“ haben die Eigenschaft, dass sie „Mangelmotivationen“ zeitweise „überstimmen“ können. Um das Karriereziel zu erreichen geht man an seine physischen wie psychischen Belastungsgrenzen. Aber das geht eben nur zeitweise. Auf Dauer ist die Mangelmotivation letztlich die stärkere (Menschen bei denen das nicht der Fall ist, haben ein hohes selbst- wie fremdgefährdendes Potential, da sie Gefahr laufen, über psychische und physische Belastungsgrenzen hinaus zu gehen).

 In manchen Fällen erweisen sich leider die Auswirkungen des Umzugs auf die unteren – treffender wäre eigentlich „grundlegenden“ – Bedürfnisebenen als so massiv, dass es letztlich zu keinem persönlichen Wachstum kommt, sondern vielmehr langsam aber sicher die persönlichen Reserven aufgezehrt werden – das Bankkonto ist dann das einzige, was noch wächst.

 Bin ich nur über einen kurzen, absehbaren Zeitraum in Shanghai, mag ich diese Entbehrung um des finanziellen Gewinns wegen durchhalten, um dann daheim die Früchte auskosten zu können. Aber was ist, wenn das nicht der Fall ist, wenn mein Vertrag sehr langfristig ist, bzw. überhaupt unklar ist, wann wieder eine gesicherte Situation eintritt, wann eine Rückkehr möglich ist, wann die „Wachstumsperspektive“, die mich ursprünglich motivierte tatsächlich erfahrbar wird?

 Wenn eine Wachstumsmotivation auf einer sehr langfristigen und noch dazu wenig zuverlässigen Perspektive aufbaut, dann mahnt Maslows Pyramide nachdrücklich zur Vorsicht. Dann muss ich umso sorgfältiger auf die grundlegenden Bedürfnisebenen achten:

 Genügend und appetitliches Essen, genügend Schlaf, gesichertes familiäres Umfeld, befriedigende und anregende soziale Kontakte (dazu gehören für die Kinder auch Schule und Freizeitmöglichkeiten). Tue ich das nicht, dann laufe ich in hohem Maße Gefahr, die für das Wachstumsziel notwendigen Energien gar nicht aufbringen zu können: Ich mache mich und meine Familie langsam aber sicher kaputt.

 Wichtig ist es dabei insbesondere, ehrlich bei den eigenen Maßstäben zu bleiben. Wenn ich in einem Bett nicht schlafen kann, dann hilft es mir nichts, dass es für chinesische Verhältnisse eigentlich ganz gut ist. Wenn ich die Baustelle nebenan sehr laut finde, dann hilft es mir nichts, dass sie für chinesische Verhältnisse eigentlich gar nicht sehr laut ist. Und wenn die Ehe kriselt, dann hilft es erst recht nichts, vorgehalten zu bekommen, dass andere Ehepaare in der gleichen Situation viel weniger Probleme hatten – einfach weil die Situation in Wirklichkeit nie die gleiche ist!

 Die schwersten Ehekrisen entstehen, wenn die Partner sich nicht mehr trauen oder aus sonstigen Gründen nicht fähig sind, untereinander ihre wahren Bedürfnisse zu äußern. Dann entstehen mit der Zeit Nebenkriegsschauplätze, Ersatzkämpfe etc.. Hier muss man gerade Kindern gegenüber sehr aufpassen, die unter solcher „Nicht- oder Scheinkommunikation“ massivst leiden. Seien Sie ehrlich zueinander, so lange es sich noch lohnt.

 

Gefangen im Goldenen Käfig

 Gemein bei der ganzen Sache: Gelingt die Absicherung der unteren Bedürfnisebenen auf diesem Weg schließlich befriedigend, fühlt sich jede/r zumindest körperlich wirklich wohl, ist der rettende Hafen leider auch noch nicht erreicht. Dann lässt sich anhand Maslow eine postwendend neu entstehende Problematik aufzeigen, der sich insbesondere mitreisende Ehepartner ausgesetzt sehen und die weiter oben schon angesprochen wurde.

 Die neuen Fragen lauten: Was nun? Wo kann ich geistige Anregung finden, wo ästhetische. Wo kann ich mich verwirklichen, was gibt meinem Leben in Shanghai einen sinnvollen Rahmen?

 Wenn sich in diese Richtung für die PartnerInnen nicht genügend tut, erweist sich die hohe Abgesichertheit, besser der Luxus des Expat-Lebens als ein wahrer Boomerang.

 Wie bei der Kurzerläuterung Bedürfnispyramide schon erwähnt hat der Selbstwert, das Selbstvertrauen etwas damit zu tun, in wieweit ich die Befriedigung meiner Grundbedürfnisse selbst steuern kann. Es ist schön eine Ayi zum Einkaufen schicken und mit dem Fahrer zum Coffee-Morning fahren zu können – weniger schön ist dagegen, wenn ich realisieren muss, dass ich selber mit der Aufgabe alleine auf den Markt zu gehen letztlich überfordert wäre, bzw. ich gar keinen Bus zum Hotel kenne. Weniger schön ist, wenn man merkt: Eigentlich bin ich von meinen Angestellten wesentlich abhängiger, als die von mir (eine Erkenntnis die im übrigen auch manchen westlichen Manager in China auf bitterste Art und Weise trifft)!

 Dann wird die Situation kritisch: Was mach ich eigentlich hier? Wenn ich weg bin läuft doch alles genauso weiter! Meinen Mann/Viele meiner Mitarbeiter sehe ich eh kaum und was der macht, wenn ich ihn nicht sehe, weiß ich auch nicht. Ich kann nicht einmal alleine einkaufen/Lieferanten anrufen. Bin ich eigentlich bescheuert? Oder aus der arbeitenden Sicht: Die lassen mich hier doch nur sitzen, weil ich das Geld mit bringen: Ansonsten machen die eh was sie wollen.

 Und so entsteht das Paradoxon, dass in Shanghai aus einer Situation gesicherten Wohlstandes oder vordergründig beruflichen Erfolges wirklich ernstzunehmende Krisen erwachsen können.

 Maslows Ansatz ist in vieler Hinsicht ungelenk und vereinfachend, aber er mahnt nachdrücklich, sich in seinen Bedürfnissen ernst zu nehmen und sehr genau in sich zu horchen, welche man tatsächlich hat. Besonders schwierig ist dabei, dass es eben Bedürfnisse gibt, die den Interessen des nächsten Umfeldes widersprechen, was von manchen Menschen als unerträglich und ausweglos empfunden wird: Wir sind doch ein Paar, wir müssen doch gemeinsam (er)leben.

 

Das ist der Punkt, an dem man sich dringend an Freunde oder eben an Beratungen wenden sollte, denn tatsächlich sind diese Situationen nicht ausweglos, aber sehr zehrend und schwierig.

  

V. Auf zu neuen Ufern

  „Der Umzug nach Shanghai – ein kritisches Lebensereignis“ – das Booklet nähert sich dem Ende. Ich hoffe aber die ein oder andere Anregung gegeben zu haben und stehe gerne für Fragen zu psychologisch-pädagogischen Themenstellungen zur Verfügung (s.u.).

 Aber - noch ein letztes Mal - zum Thema: Der erste Abschnitt hatte den Grundansatz „kritischer Lebensereignisse“ erklärt und versucht auf die Situation eines Auslandsumzuges zu übertragen. Der zweite Abschnitt beschäftigte sich mit der Frage, wie die Eigenarten menschlicher Wahrnehmung diesen Schritt positiv, wie auch negativ beeinflussen können. Im dritten Abschnitt wurden einige spezielle Probleme kurz angesprochen. Der vierte Abschnitt drehte sich um das Thema Bedürfnisse. Nun soll es darum gehen, wie Sie ganz praktisch mögliche Probleme minimieren können – völlig vermeiden lassen sich Probleme bei einem Vorgang dieser Komplexität und Tragweite in der Regel nicht. Gerade deswegen steht ein Punkt eigentlich über allen:

 

  1. Fürsorge: Nehmen Sie sich Zeit - für sich und für Ihre Nächsten:

 Dies ist keine Provokation gegenüber den berufstätigen Partnern (oder zumindest nicht primär ;-)).
Ich bin mir des heutzutage bestehenden Drucks auf Führungskräfte aus meiner Arbeit als Niederlassungsleiter, freiberuflicher Coach und später insbesondere als selbständiger Unternehmer sehr bewusst. Gerade deswegen möchte ich jedem, der „in verantwortlicher/leitender Position“ mit Familie nach Shanghai kommt, umso nachdrücklicher nahe legen, frühzeitig Strukturen zu schaffen, die nach allen Seiten deutlich machen, dass die Verantwortlichkeit gegenüber der Firma auf der Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Gesundheit und der Familie aufbaut - und nicht umgekehrt. Da kein Unternehmen Interesse an zehrenden Scheidungen bzw. mentalen oder gesundheitlichen Zusammenbrüchen haben kann (was beides leider vorkommt), ist diese Prioritätensetzung in aller Regel auch „nach oben“ hin vermittelbar. Das heißt nicht, dass es nicht Zeiten und Gelegenheiten geben kann, bei denen die Familie zurückstecken muss und es ist auch sicher so, dass Sie als Expat in der Regel weniger Zeit zur Verfügung haben als eine Durchschnittskraft – aber es darf eben nicht immer und nicht immer nur die Familie sein, die zurücksteht!
Diese Prioritätensetzung gilt im übrigen doppelt und für beide Partner Ihren Kindern gegenüber. Ayi, Ganztagsschule, Sportclub, Klamotten, CD’s und Spielzeug sind alle nett und hilfreich, davon abgesehen brauchen Ihre Kinder Sie aber im Ausland mehr denn irgendwo sonst ganz persönlich, und dabei - auch wenn es nicht immer so scheint - insbesondere Jugendliche!

Also planen sie hierfür bewusst Zeit (und Energie) ein.



2. Offenheit: Zunächst wird Shanghai Sie formen, nicht Sie Shanghai.

 Shanghai ist eine chinesische Millionenmetropole mit Gegensätzen, inneren Spannungen und auch Dynamiken, die jeden, der nicht ein gewisses Maß an Offenheit und Anpassungsbereitschaft mitbringt, schnellstens und mit Nachdruck an seine Grenzen bringen kann – das gilt übrigens innerhalb des Geschäfts wie für die Haushaltsführung oder Freizeitgestaltung gleichermaßen.

Wer offen an die Sache heran geht, dem wiederum bietet Shanghai eine Bandbreite an Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, wie aktuell wohl nur wenig Plätze auf dieser Welt. Betont sei in diesem Zusammenhang wieder, dass „offen“ nicht heißt, dass man alles von vorne herein toll finden muss (ich sage nur: „chuaaarg – pfk“...). Es geht nur darum, zu versuchen sich vorstellen, dass etwas toll, zumindest aber sinnvoll sein könnte, obwohl es auf den ersten Blick fremd oder gar widerlich scheinen mag. Um beim Beispiel zu bleiben: Wir schniefen, räuspern und spucken nicht, wir putzen uns statt dessen die Nase. Mag sein, dass unser Naseputzen sozial vorteilhafter ist, aber tatsächlich ist es in den Augen vieler Mediziner ungesünder als die chinesische Variante, da wir wieder und wieder alles „mit Überdruck“ in die eigenen Nebenhöhlen pressen... . 

In diesem Sinne: Die chinesische Gesellschaft ist durch die Größe des Landes um ein vielfaches komplexer als die unsrige. 5000 Jahre Kulturgeschichte und die heutzutage schier endlose Spanne an parallel existierenden Lebensentwürfen machen nicht jeden Chinesen per se zu einem Konfuzius – das in diesem Land mehr oder minder offensichtlich existierende Wissen über Bedingungen und Formen menschlichen Lebens sollte man aber nie, wirklich nie unterschätzen und daher versuchen, davon zu profitieren – auch wenn der Zugang manchmal schwer fällt. Treffen Sie Menschen, suchen Sie Kontakt: Reden, reden, reden ;-)

 

3. Verständigung: Vielleicht (noch...;-)) nicht die Welt, aber in jedem Fall China, spricht Chinesisch

Weil China so reich ist an Eindrücken und gleichzeitig auch so fremd, sollten Sie versuchen, so direkt wie möglich Zugang zu Chinesen zu finden und dazu braucht es vor allem eines: die Sprache. Was wir vom Gastarbeiter in Deutschland erwarten, sollten wir uns in China auch zu Herzen nehmen: Auch wenn wir uns hier etwas eleganter „Expats“ nennen dürfen, die Sprache ist der eigentliche Schlüssel zum Gastgeberland. Sie zu lernen ist eine kleine aber sehr wichtige Respektbezeugung.

Es gibt Menschen die jahrelange Shanghai-Aufenthalte ohne den Aufbau nennenswerter Sprachkenntnisse hinter sich bringen. Das geht – aber es gibt nur wenige, die eine solche Sprachabstinenz letztlich nicht irgendwann eindeutig bereuen. Daher: Lernen Sie so schnell und so viel Chinesisch wie Ihnen nur irgendwie möglich ist.

Häufig ist es leider weniger möglich, als man sich wünschen würde: Chinesisch zu lernen bleibt auch für Sprachtalente eine echte Herausforderung, bei der man wirklich Biss braucht. Als zu lernenden Dialekt würde ich auch in Shanghai eindeutig die Amtssprache „Mandarin“ (chin.: Putong-Hua) empfehlen.

 

4. Aktivität: So nett der Expat-Package-Rundumservice sein kann – passen Sie auf, dass es in Ihrem Leben genügend Felder gibt, die Sie selbst gestalten.

 Wie gesagt, Ayi, Gärtner, Fahrer & Co. sind nett, aber auch Angestellte sind Menschen die Eigenheiten haben können. Angestellte schaffen Freiheit, schränken Sie in Ihrem Alltag durch ihre Anwesenheit und eine stets verbleibende Restunsicherheit, ob wirklich das passiert, was man eigentlich wollte, aber auch gleichzeitig in nicht zu unterschätzender Art und Weise ein.

Manche Menschen – gerade Frauen - wären in Shanghai vermutlich glücklicher und ausgeglichener, wenn sie einen Deut weniger um- und versorgt wären – auch weil man sich in so einem „goldenen Käfig“ letztlich schnell „ent-„sorgt fühlt... (mal ganz davon abgesehen, dass sich die Haltbarkeit manchen Küchengerätes oder Wäschestückes, die nicht selten Zielpunkte unausgetragener Konflikte mit der Ayi werden, vermutlich wesentlich verlängern würde).

Es geht hier nicht darum, Haushaltshilfen generell abzuschaffen. Für diese geht es in der Regel um gute Jobs, für uns um erhebliche Alltagserleichterungen. Es geht aber darum, bei diesem Thema von dem „all-inclusive-weil-sie-nunmal-da-ist“-Ansatz weg zu kommen, sich bewusster mit Grenzen und Möglichkeiten dieser Seite des Lebens in Shanghai auseinander zu setzen.

Eine wichtige Grenze dabei ist, dass eine chinesische Ayi – so sie nicht schon längere „Westler“-Erfahrung hat – deutlich andere Vorstellungen von Haushaltsführung hat und zudem die wenigsten westlichen Haushaltsgeräte ausreichend kennt. An diesem Punkt wird die Wichtigkeit des eigenen Sprachtrainings noch einmal besonders deutlich. So verständlich der Wunsch nach englischsprachigem Personal ist, er hat auch eine klare Kehrseite: Chinas Hausangestellte sind so günstig, weil sie gering qualifiziert sind und wenig andere Perspektiven haben. Eine Ayi, die gut Englisch kann, wird verständlicher Weise bald nach Höherem streben. Kurz: Wer so etwas will, muss mit einem ganz anderen Budget planen.

Wenn man sich aber eben ein wenig selber bewegt, kann auch die „rein chinesische Ayi“ zur großen Bereicherung werden:

Man kann mit der Ayi Kochen lernen, von (so es mehrere sind) allen Angestellten viel über das Leben in China erfahren und dabei – wenn ein Grundwortschatz mal da ist - deutlich günstiger und alltagsnäher als in Schulen sein Chinesisch trainieren. Die manchmal beängstigende Distanzlosigkeit der Chinesen Kindern gegenüber wandelt sich in der engeren Beziehung häufig zu wirklich fürsorglicher Herzlichkeit.

Das oben Beschriebene geht leider nicht mit allen chinesischen Angestellten. Es gibt – Qualifikation hin oder her – schlicht Muffel. Dann sollten Sie schnellstens über Ersatz nachdenken, denn man hat mit seinen Hausangestellten viel zu engen Kontakt, als dass man sich hier dauerhaft Konflikte leisten könnte. Das zehrt richtig – dann lieber keine!

 

Das Thema dieses Absatzes war Aktivität, und Aktivität geht natürlich noch deutlich weiter, als seine Hausangestellten zu organisieren. Es bedeutet öffentliche Verkehrsmittel auszuprobieren, um unabhängiger zu werden. Es bedeutet selbst auf den Gemüse-Märkten einzukaufen. Es bedeutet über „That’s“, „CityWeekend“ und Expat-Magazine wie den (sehr empfehlenswerten) SEA-„Courrier“ und eben auch den „Postillion“ des Deutschen Clubs nach Interessensgemeinschaften und Freizeitmöglichkeiten zu suchen usf.. Leben Sie, lassen Sie sich nicht leben und lassen Sie sich vor allem nicht durch Chaos und Ausmaß dieser Stadt einschüchtern. Shanghai ist gewaltig, aber für Ausländer daneben eine der sichersten Großstädte der Welt, was enorme zusätzliche Erlebnisräume schafft, auf die Sie jedoch selbst zugehen müssen. Der Deutsche Club hofft dabei einfach eine Hilfe sein zu können und sei es nur als Forum des gegenseitigen Austausches.

 

 

Allen eine gute Zeit.

 

 

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